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Gedanken über Sankt Martin

Posted on:November 14, 2024 at 11:00 PM

Es ist die Zeit der Martinsumzüge. Unsere Tochter ist schon gross, fast drei Jahre alt; sie feiert Laternen und findet die Lieder toll. Wir Eltern sind dabei und hören den Andachten zu. Die Pfarrer:innen und Pädagog:innen reden vom Teilen, vom Zeit und Wärme schenken, von Mänteln und Martinsgänsen.

Die Worte berühren mich und machen mich nachdenklich. Sie bewegen mich in den nächsten Tagen dazu, diesen Text zu schreiben. Martins Tat war wahrscheinlich lebensrettend in einer Zeit, wo ein Bettler ohne warme Kleidung den Winter kaum überleben konnte. Könnten wir das auch — Leben retten?

Ich habe bereits mehreren Menschen das Leben gerettet und möchte hier davon erzählen. Weil ich Sankt Martin würdigen möchte. Weil Leben Retten einfacher ist, als viele denken. Und weil es glücklich macht.

Eine Person spendet Geld und denkt dabei an Sankt Martin.

Eine Person spendet Geld und denkt dabei an Sankt Martin.

Die Leben, die ich rettete

Ich rette Leben, indem ich effektive Hilfsorganisationen unterstütze. In meinem Fall zum Beispiel die Against Malaria Foundation, Helen Keller Intl, oder GiveDirectly. Die Website effektiv-spenden.org hat dazu gute Informationen.

Effektive Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie an einem wichtigen Problem arbeiten, für das es gute Lösungen gibt, und das dennoch vernachlässigt ist. Malaria ist ein gutes Beispiel:

Die Against Malaria Foundation kauft Moskitonetze und sorgt dafür, dass sie verteilt werden. Dank der Transparenz der Foundation und der guten Forschung zu dieser Massnahme kann man sagen, dass pro 3000€-8000€ an Spenden ein Todesfall verhindert werden kann.

Als ich einmal am Stammtisch davon erzählte, waren viele Männer skeptisch. Ich finde diese Skepsis berechtigt und wichtig. Wir hören schliesslich immer wieder Geschichten von Korruption und von Projekten, die abhängig machen statt zu helfen. Ich denke, die Skepsis kommt daher, dass wir durchschnittliche Hilfsorganisationen vor Augen haben. Diese arbeiten oft in reichen Ländern an einer Vielzahl von Problemen, mit Lösungen, die nicht immer gut erforscht sind. Im Gegensatz dazu haben effektive Organisationen oft hundert oder tausend Mal mehr Impact pro Euro.

In der Vergangenheit habe ich zweieinhalb Jahre für die Against Malaria Foundation gearbeitet. Ich habe Software geschrieben, um jedes der Netze zu erfassen, Unregelmässigkeiten zu finden, Lebensdauer und Nutzungsgrad zu messen und vieles mehr. Statt Unregelmässigkeiten und Korruption fand ich in den meisten Fällen solche Resultate:

Ein Dorf in Aremo, Uganda. Punkte zeigen, wo Netze sind.

Ein Dorf in Aremo, Uganda. Punkte sind GPS-Koordinaten der verteilten Netze. Sie erreichen jedes Haus.

Ich hatte das Privileg, mit eigenen Augen zu sehen, wie Hilfe ankommt. Ich durfte täglich gegen Misbrauch, Ineffizienz oder Fehler kämpfen und fand davon sehr wenig. Das Team der Against Malaria Foundation ist erstklassig; jedes Mitglied könnte in der Industrie das Doppelte verdienen. Menschen wie sie arbeiten für effektive Organisationen, weil sie ganz dahinter stehen können.

Meine Frau Monika und ich spenden viel. Wir nehmen an, dass es mindestens zehn Personen gibt, die heute am Leben sind und ohne unsere Spenden tot wären. Es fühlt sich komisch an, das zu schreiben. Ist denn nicht Bescheidenheit angebracht? Man sieht doch nur mit dem Herzen gut, und das Wesentliche ist für Kosten-Nutzen-Rechnungen unsichtbar? Es ist eine Gratwanderung. Ich schreibe diesen Text, weil zu viel Bescheidenheit dazu führen kann, dass man vor lauter Martinsgänsen die Not der Welt nicht mehr sieht.

Das Glück, das ich fand

Im Jahr 2017 beendete ich mein Studium, zog mit Monika zusammen, und startete meinen ersten Job bei Google. Es war eine neue Lebenssituation und wir beide hatten plötzlich viel mehr Geld zur Verfügung, als wir uns gewohnt waren. Uns machte das fast ein wenig Angst. Wir wollten uns nicht an einen luxuriösen Lebensstil gewöhnen und davon abhängig werden.

In dieser Situation fiel uns die Entscheidung leicht, einen Teil unseres Einkommens zu spenden. Geholfen haben uns Vorbilder wie meine Eltern — und die Organisation Giving What We Can. Sie bringt Menschen zusammen, die sich selbst dazu verpflichten, 10% oder mehr ihres Einkommens an effektive Organisationen zu spenden. Wir haben diese Selbstverpflichtung 2018 unterschrieben.

Giving What We Can Aufkleber auf meinem Laptop.

Giving What We Can Aufkleber auf meinem Laptop.

Der Legende nach hatte Sankt Martin einen Traum, in dem Jesus zu ihm kam, bekleidet mit der verschenkten Mantelhälfte. Auch für mich gehören Geben und Glauben zusammen. Es gibt in der Bibel zahlreiche Aufforderungen, 10% seines Einkommens oder auch mehr zu spenden. Jesus selbst empfiehlt einem reichen Mann, seinen Besitz zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben. Wenn ich auch nicht alles verkaufe, so möchte ich doch diese Worte ernst nehmen.

Für mich haben unsere Spenden zu grossem Glück geführt. Ich habe tiefe Fixkosten und fühle mich dadurch finanziell unabhängig. Ich glaube, dass mein Leben insgesamt positiv für die Welt ist. Früher hatte ich viel mehr mit kognitiven Dissonanzen zu kämpfen — ich wollte Gutes tun, wusste aber nicht wie und fühlte mich nicht in der Lage dazu. Heute gibt es immer noch vieles, was ich lernen und tun will. Doch ein kleiner Anfang ist getan.

Lichterkinder

Unserer Tochter ist mittlerweile kalt. Ich trage sie im Arm, sie hält die Laterne. Wir summen noch die Lieder vom Umzug.

Lichterkinder auf dieser Erde
Leuchten wie Sterne am Himmelszelt
So wie Sankt Martin schenken sie Freude
In alle Herzen auf dieser Welt

Ein schönes Martinsfest allen!